Bildungspotentiale im Anime
Hinsichtlich der Reflexionspotentiale in Akira lässt sich ein großer Themenkomplex ausmachen, welcher sich mit dem dialektischen Verhältnis zwischen Tradition und Moderne bzw. zwischen Moral und Fortschritt beschäftigt. Insofern thematisiert Akira auch die Grenzen zwischen Bestimmtheit und Unbestimmtheit. 

Visuell wird dies mit Blick auf die Filmwelt zunächst durch die Darstellung einer hochtechnisierten Stadt auf der einen und den Rebellen, welche mit Pinseln und traditionellen japanischen Gewändern protestieren, auf der anderen Seite verdeutlicht. Auf der auditiven Ebene wird diese Dichtonomie durch traditionelle Glockengeräusche und Trommelsequenzen gestärkt, die ebenfalls einen Kontrast zu den futuristischen Settings darstellen.
Auf der Handlungsebene findet diese Dichtonomie in den blauen Kindern einen visuell konkrete Form. Durch eine blaue Haut und helle Haare heben sich diese von den anderen Protagonisten, welche vorwiegend in natürlich wirkenden Farben (braune/schwarze Haare und helle Haut) gezeigt werden, ab und bilden einen starken Kontrast. In den Figuren der blauen Kinder wird nicht nur das offensichtlich Fremde verdeutlicht, sondern auch wie die Wissenschaft im Film durch das brechen mit moralischen Grenzen, mit dem Ziel neues Wissen zu generieren, neue Unbestimmtheitsbereiche schafft. Hierbei ist eine Qualität des Films, dass nicht nur das Fremde als Resultat gezeigt wird. Durch Flashbacks werden die Schicksale und Beweggründe von den blauen Kindern, Akira und Tetsuo und somit das Menschliche hervorgehoben. Insofern wird auf die Biographien dieser Protagonisten verwiesen.

Oberst Shikishima als prototypische Figur in Akira

Hinsichtlich dieser Paradoxien im Film stellt Oberst Shikishima eine besondere Figur dar. Diese Besonderheit resultiert aus seinen offensichtlich dialektischen Handeln. Zum einen tritt er als Bewahrer auf. Er sieht sich hierbei als Verantwortlicher für die blauen Kinder und als Beschützer Neo-Tokios. Auf der anderen Seite lässt er jedoch die Experimente an Tetsuo zu, welche letztlich zur Zerstörung der Stadt führen. Diese dialektische Entschlossenheit wird im Film zum einen durch seine Körpergröße und zum anderen durch eine Untersicht erreicht, welche die Vaterfigur und zugleich den militärischen Befehlshaber zugleich herausstellen. Nach der Zerstörung Neo-Tokios wird er dagegen inmitten des Chaos per Vogelperspektive klein und unbeholfen gezeigt. 
In Bezug auf die visuellen Kontraste arbeitet der Film mit Blick auf die Makroebene (d.h. die Gesellschaft in Neo-Tokio) ebenfalls mit starken visuellen Kontrasten. So wird am Anfang des Films, als Hunde Takashi verfolgen, durch Werbeeinblendungen für Hundefutter ein visueller Bruch erzeugt. Die verfolgenden Hunde sind hierbei im visuellen Stil des Films gehalten und passen in das Setting. Die Hunde in der Werbung hingegen sind comichaft gezeichnet und bilden durch ihr harmloses Auftreten in der Verfolgungssituation einen Kontrast zwischen der im Film medial vermittelten und realen Wirklichkeit. Dieser kurze Eindruck spiegelt sich auch in der Architektur der Stadt Neo-Tokio wieder. Während in den zentralen Gebieten und oberen Etagen der Stadt das scheinbar alltägliche Leben stattfindet (visualisiert durch bunte Farbgebungen), sind die Außenbezirke und Straßen von Gewalt und einem brutalen Vorgehen von Militär und Polizei geprägt. Dementsprechend sind diese von rot-schwarzen Kontrasten geprägt. Durch diese visuelle Gegensätzlichkeit wird dem Zuschauer verdeutlicht, dass Neo-Tokio eine Welt der krassen Gegensätze ist und macht die sozialen Unruhen bzw. die allgemeine Anomie in der Stadt verständlicher. Im Zusammenspiel mit Shikishimas bewahrender Haltung stellt sich letztlich die grundsätzliche Frage, ob Neo-Tokio überhaupt noch zu retten sei.
Zusammenfassend betrachtet eröffnet Akira Reflexionspotentiale durch seine differenzierte Sichtweise, die bis auf wenige Ausnahmen (wie zum Beispiel den Stadtrat) Perspektiven darstellt und weniger wertet. Somit wird der Zuschauer in die Unauflöslichkeit der Konflikte eingeführt, welche insbesondere durch die Figur des Oberst Shikishima zugespitzt werden. 

Dieser Unauflöslichkeit steht das Ende des Films entgegen, welches als eine generelle Auflösung der Handlung zu verstehen ist. Hierbei wird durch sich bewegende Kreise und Linien, sowie dem aus dem Off gesprochenen Satz "Ich bin Tetsuo" ein offenes Ende formuliert. Dieses sich nicht selbst erklärende Ende, welches in seiner Form abstrakt ist, eröffnet daher einen Raum für Reflexionen hinsichtlich des Gesehenen, da es sehr stark mit dem visuellen Stil bricht. Es wird zwar angedeutet, dass Tetsuo nun sein eigenes Universum sei, jedoch wird durch die verfremdende Form nicht geklärt wann oder wo dieses Universum ist.

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