Bildungspotentiale im Anime
Die Subjekt-Objekt-Dialektik des Deutschen Idealismus 

Die grundlegende Logik seines Bildungsbegriffs sieht Marotzki im deutschen Idealismus verortet. Hierbei bezieht er sich insbesondere auf die Subjekt-Objekt-Dialektik von Hegel, welche gleichsam auf Selbst- und Weltreferenzen zielt. In dieser Dialektik liegt letztlich auch ein reflexiver Bildungsbegriff begründet.

„Die Differenz zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit wird vom Subjekt also auf jeder Stufe seines Bildungsprozesses erfahren, m.a.W. Differenzerfahrung ist für Bildungsprozesse konstitutiv. Sie ist conditio sine qua non von Weiterentwicklung. Die Bedingung von Emergenz ist die Differenzerfahrung. Dieses scheint mir gerade die bildungstheoretische Pointe der Hegelschen Dialektik zu sein, die man bei der Frage nach Bildungsprozessen gerade nicht verspielen darf“ (Marotzki 1989, 158).

Medial gewendet, und zwar im Medium der Sprache, verweist auch Humboldt auf den bildenden Wert von Differenzerfahrungen durch fremde Sprachen und somit Kulturen, welche zu einer Veränderung der Selbst- und Weltverhältnisse führe:

„Die Erlernung einer fremden Sprache sollte daher die Gewinnung eines neuen Standpunktes in der bisherigen Weltsicht sein, da jede das Gewebe der Begriffe und der Vorstellungsweise eines Teils der Menschheit enthält. Da man aber in eine fremde Sprache immer mehr oder weniger seine eigene Welt, ja seine eigene Sprachansicht hinüberträgt, so wird dieser Erfolg nie rein und vollständig empfunden“ (Humboldt 1827-1829, 225; zitiert nach Jörissen/Marotzki 2009, 13). Hinsichtlich der Anlehnung an den Deutschen Idealismus, grenzt sich Marotzki von den positivistischen Tendenzen, welche zeithistorisch bedingt von einer stetigen Höherentwicklung ausgehen, ab (vgl. Marotzki 1989, 151 sowie Jörissen/Marotzki 2009, 10). 

In diesem Sinne sieht Marotzki in der Krise, oder mit Hegel formuliert im Schmerz, den Ausgangspunkt für Subjektivierungsprozesse und somit potentiell auch für Bildungsprozesse (vgl. Marotzki 1989, 177).

Bildung und Moderne - Die zeitdiagnostische Dimension

Hinsichtlich der zeitdiagnostischen Rahmung beziehen sich Marotzki, wie auch später Jörissen, auf eine modernisierungstheoretische Rahmung, womit auch der Aspekt des krisenhaften hervorgehoben wird. Ausgehend von dieser Rahmung erläutert Marotzki anhand der These der Individualisierung (vgl. Marotzki 1990, 19f) und der These der Kontingenzsteigerung (vgl. ebd., 25f), dass moderne Biographien Relevanzstrukturen besäßen, welche in Folge der Kontingenz immer wieder reflektiert werden müsse. Die bildungstheoretische Pointe besteht nun darin, dass sich das Individuum immer wieder mit sich und der Welt ins Verhältnis setzen muss. Insofern seien Bildungsprozesse nur struktural, d.h. über bestimmte biographische Erzähl- und Orientierungsmuster, erfassbar (vgl. ebd., 29f). Um die Notwendigkeit von Reflexivität in der Moderne deutlicher zu machen, möchte ich im Folgenden den Begriff des Orientierungswissens nach Jürgen Mittelstraß ausführen.

Orientierungswissen und Moderne

Der Philosoph Jürgen Mittelstraß (2002) führt in seinem kritischen Aufsatz „Bildung und ethische Maße“ aus, dass die heutige moderne „Informationswelt, in die wir heute alle, willig oder unwillig, gezogen werden“ keine Orientierungswelt sei (Mittelstraß 2002, 154). Er kommt zu dem Schluss, dass diese Entwicklung eine Orientierungsschwäche mit sich bringen würde. Doch sind es gerade die Orientierungsleistungen und somit Bildungsprozesse, welche letztlich auch Selbstbestimmung für das Individuum schaffen (vgl. Mittelstraß 2002, 166). In Bezug auf meine Arbeit möchte ich daher in der Untersuchung der Bildungspotentiale das Orientierungswissen mit einbeziehen, um die Qualität der Reflexionen der Protagonisten im Film genauer herauszuarbeiten. Dabei beziehe ich mich auf die von Marotzki und Jörissen (2008) herausgearbeiteten vier Momente des Orientierungswissens. Diese nennen zunächst die Orientierung als Fähigkeit des Umgangs mit Kontingenz, wobei Kontingenz mit den Orientierungskrisen der Moderne verbunden ist. Um diese Krisen zu meistern ist eine Flexibilisierung des Individuums nötig, um sich im Kontext der Kontingenz umorientieren zu können. Hierfür ist eine explorativ spielerische und offene Haltung gegenüber der Unbestimmtheit nötig, die sogenannte Tentativität. Letztlich ist das Moment des Einlassens auf das Unbekannte oder auch unbestimmt Bleibenden als Orientierungsleistung bzw. Bildungsprozess im Sinne der strukturalen Bildungstheorie zu sehen (vgl. Marotzki/Jörissen 2008, 56).

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